Kalter Entzug

Liebes Tagebuch,
ich schreibe diese Zeilen nicht, damit die Person, um die es geht, sie liest und ich sie damit beeinflusse. Ich schreibe diese Zeilen, weil ich hoffe, dass es mir besser geht, wenn ich sie niedergeschrieben habe. Und ich schreibe sie, weil ich möchte, dass die Leute, die das lesen verstehen, wer ich wirklich bin. Viele denken bestimmt, ich sei sehr selbstsicher und hochtrabend. Aber nur wer hinter die Fassade schaut, sieht wer ich wirklich bin. Man kann es hier lesen.

Nachdem mich ihre Nachricht am Morgen des donnerstags erreicht hatte, brach eine Welt für mich zusammen.

Auch wenn ich mit dieser Entscheidung schon die ganze Nacht rechnete. Es war nur noch eine Frage der Zeit. Alle hatten mich gewarnt, etwas mit einer Person, die noch an ihrem Ex hängt, ja ihm geradezu hörig ist, anzufangen. Wenn ich das von der ersten Minute an gewusst hätte, wäre es nicht zu einem Treffen gekommen. Das erste Treffen hatten wir am 20. September, als ich sie in den Semesterferien in der Videothek besuchte. Ich blieb dort drei Stunden. Sie vergingen wie im Fluge und ich brachte sie nach Feierabend an ihr Auto. Ich zog sie damit auf, weil sie ein typisches Frauenauto fuhr. Die Sonne schien an diesem Tag noch, es war um 19 Uhr noch hell. Sie hatte nahe an einer Sitzbank geparkt, auf der ein paar Jugendliche rumlungerten. Wir sahen uns an – wir trugen beide unsere Sonnenbrillen. Es war ein schöner Moment, als ich sie davonfahren sah. Ich wusste, wir werden uns wieder sehen und freute mich darauf. Ich spürte, dass sie ein toller Mensch ist. Ich wusste noch nicht, dass sie an ihrem Ex hängt und ihn eigentlich zurückhaben will. Dieser Moment sollte mich dorthin bringen, wo ich jetzt stehe. Sie will um ihn kämpfen, weil sie ihn verletzt hat. Der Moment, in dem er uns beide zusammen in ihrem Bett aufeinander sitzend sah. Sie will ihn zurück. Er hatte ihr immer Vorwürfe gemacht, sie sei an allem schuld. Ob das nun ein Streit war, oder er sich einfach mit dem Auto verfahren hatte. Sie war schuld. Dies ist ihre Rolle – die Schuldige. Sie gibt sich für einen anderen Menschen auf und merkt es nicht. Sie ist sich selbst nicht treu. Sie war sie selbst, als wir uns trafen. Die Trennung der beiden kam wohl Mitte September zustande. Sie wirkte zu Beginn unserer Treffen fröhlich. Ich schaffte es immer sie mit neckigen Bemerkungen zum lachen zu bringen. Das war so ein unglaublich schönes Gefühl, sie so zu sehen. Bis sie mir sagte, dass sie erstmal keine Beziehung möchte, weil die Trennung noch zu frisch ist. Drei Wochen später schien sicher, dass sie ihn zurück möchte. Das schrieb sie mir nach einem Treffen per Kurznachricht. Es war in Ordnung für mich und ich musste es akzeptieren, um sie nicht zu verlieren. Meine besten Freunde sagten mir, es habe keinen Sinn sie weiterhin zu sehen, weil ich mich verliebt habe. Ich leugnete die Gefühle für sie. Ja, ich war mir dieser nicht mal selbst bewusst. Vorige Woche Freitag besuchte ich sie wieder in der Videothek, nachdem sie fragte ob ich vorbeikommen wolle. Ich setzte sie nie unter Druck, um sie zu sehen. Sie sollte entscheiden wann wir uns sehen. Es war schön. Wir neckten einander und sie suchte den Körperkontakt indem sie mich zwickte. Am Dienstag beschwerte sie sich bei mir, dass ich mich seit Samstagnacht nicht mehr gemeldet habe. Wir verabredeten uns für den Mittwoch. Was da passierte ist bekannt. Unsere Gefühle nahmen Form an. Sie sagte am Freitag, als wir telefonierten, dass es echt war. Wenn sie nur Bestätigung oder Ablenkung gesucht hätte, wäre schon viel früher etwas passiert. Aber wenn ich das von ihr denke, kenne ich sie schlecht. Ich denke es nicht, weil ich die Wahrheit gesehen habe. Meine Wahrheit.

Nun sitze ich hier und fühle mich leer. Das einzig Volle ist mein Kopf. Mit Gedanken an sie, die Momente, die wir erlebten. Ihre Macken und was sie gerade macht und an was sie gerade denkt. Ich weiß, dass es ihr auch nicht wirklich gut gehen kann. Sie hat nun die doppelte Last zu tragen. Sie hat ihn verletzt und mich. Nur hat sie sich entschieden, für einen anderen zu kämpfen. Ich habe sie wohl verloren und sie mich. Wie konnte das passieren? Wird es das gewesen sein? Was, wenn sie spürt, dass etwas fehlt? Wenn sie mich sehen will, aber nicht kann, weil sie ihn nur noch mehr verletzten würde. Sie schrieb mir am Donnerstag in der Kurznachricht etwas wie: „Du hast eine Frau verdient, die nur dich will. Ich will nur ihn und werde alles geben und um ihn kämpfen, weil ich ihn so verletzt habe. Du bist ein toller Mensch“.

Ich werde sie nicht zutexten, weil ich dann kein Stück besser wäre als er. Sie selbst sagte er setze sie unter Druck. Aber eigentlich war er derjenige, der sich von ihr trennte. Nun hat er sie im Sack – sie hat ein schlechtes Gewissen und fühlt sich schuldig. Das Spiel, dass er schon immer mit ihr spielte, ging in die nächste Runde. Sie sagt ihr Herz und Verstand wissen was sie will. Ich sagte ihr, dass man nur mit dem Herzen gut sehen kann. Sie wird es erst klar sehen, wenn es endgültig vorbei ist.

Am Samstagmorgen konnte ich nicht mehr schlafen und schrieb meine Gedanken auf. Alles was ich ihr in diesem Moment sagen wollte. Ich wusste, dass sie Freitag und Samstag arbeitet, also fuhr ich zu ihr und gab ihr den Brief, mit der Bitte ihn zu lesen, darüber nachzudenken und sich bei mir zu melden. Alles war wie immer, bis auf die Situation zwischen uns. Sie sah so umwerfend aus und als mich ihre großen Augen anblickten, musste ich schnell wieder gehen, weil ich um Fassung rang. Sie sah mir das sicher an. Wie ein Häufchen Elend stand ich vor ihr. Ich kann die Gefühle nur schwer unterdrücken – ich bin ihnen vollkommen ausgeliefert. Sie sagte „Mache ich“, zu meiner Bitte. Es klang fast leicht oder wie eine Floskel die keine ist.

Sie soll sich die Zeit nehmen, die sie braucht. Ich weiß nicht, ob sie sich wirklich melden wird. Und ich weiß auch nicht wie es mir in zwei Wochen gehen wird. Vielleicht sieht die Welt bis dahin schon wieder ganz anders aus.

Ich weiß gar nichts. Nicht, was sie denkt oder was sie fühlt. Und ich habe Angst dass es sie zerfrisst und sie daran zugrunde geht, weil sie mit niemanden darüber reden wird.

Ich weiß nur, dass zwischen uns etwas passiert ist. Sie schrieb, dass es ein Fehler war, es so weit kommen zu lassen, ihre Gefühle preis zu geben. Waren die Gefühle echt, werden sie Zweifel hervorrufen. Man spürt es, weil sich das Herz meldet und der Kopf nicht aufhört sie zweifeln zu lassen.

Ich bin ein Idiot, das alles zugelassen zu haben. Im Moment als ich sie das erste Mal traf, war das Schicksal besiegelt. Aber wer weiß wie es das Schicksal mit uns meint. Vielleicht ist es der falsche Zeitpunkt, vielleicht sollten wir nie zueinander finden. Nur warum war es so wunderschön mit ihr? Wieso vergaß ich die Zeit und fühlte mich in ihren Armen unendlich wohl. Wieso wusste ich von Anfang an, dass mehr zwischen uns ist? Weil wir uns nahmen wie wir sind? Weil beide einfach wir selbst waren?

Ich weiß es nicht, aber ich bete darum, dass wir die Gelegenheit bekommen, es herauszufinden. Weil ich so einen tollen Menschen in meinem Leben haben will. Weil sie mich versteht. Weil da mehr ist.

Etwas ganz besonderes.

Mario

Comments

  1. Das wirklich “Besondere” kommt auf jeden Fall auch noch. Und dann lachst Du über das vermeintliche. Verlass Dich drauf.

    Dem Mädel soviel Konsequenz, daß es sich wirklich nur um den Verletzten kümmert!

  2. Ich muss sagen Mario…Respekt!

    Ich lese seit einiger Zeit dein Tagebuch, jedoch habe ich nie geschrieben! Nur gelesen!
    Und jetzt nach diesesm Eintrag…Ich weiß nicht aber er hat mich umgehauen!

    Ich muss sagen so etwas aus seiner eigenen Homepage im Internet wo es jeder lesesn kann zu veröffentlichen..Nicht schlecht!
    Man merkt das du auf jeden Fall um sie kämpfen willst!
    Aber wenn du ihr nicht erklärst das ih Ex Freund sie kaputt macht und sie also so wie ich es verstanden habe sich selbst vorwürfe macht, dann wird sie echt daran kaputt gehen! Sie muss ihn vergessen!
    ( Un dich nehmen?) Kleiner Spaß am Rande…

    Nein im Ernst! Red mit ihr sag ihr das du denkst das ihr Ex Freund sie kaputt macht! So hart es auch wird für euch beide…Auf deiner Seite so etwas zu sagen auf ihrer seite dies zu checken…

    Ich wünsch dir auf jeden Fall viel Glück und hoffe das das alles klappt so wie du dir das vorstellst!

    Peace Enis

  3. Hey Mario, ich habe so eine (ähnliche) Situation auch schon erlebt. Es ist schon ein paar Jahre her, und damals ging es hin und her (zwischen ihm und mir) in ihrem Gefühlsleben. Ich konnte das nicht länger aushalten und habe mich zurück gezogen, einfach so. Hätte ich das nicht getan, hätte ich vielleicht nie die Frau gefunden, welche ich seit fast drei Jahren über alles liebe…und welche ein Kind von mir bekommen wird. Das ist natürlich in deiner jetzigen Situation schwer zu begreifen, aber (Floskel): ALLES IM LEBEN HAT EINEN SINN, und du wirst aus der Situation erhobenen Hauptes herauskommen. Mit, oder ohne sie!
    Gruß, ingo

  4. Hey Mario,

    ich kann deine momentane Verfassung auch genaustens nachvollziehen. Das gleiche ist mir vor 5 Jahren so ergangen.
    Aber um auf etwas anderes zu kommen muss ich kurz ablenken.

    Die ganze Geschichte, wie traurig schön sie auch klingt hat mir eins gezeigt.

    Du bist wirklich ein ganz andere Mensch als ich dich von außen her immer gesehen habe. Das ganze macht dich von deinem Wesen her sympathischer.

    Behalte diese Züge für dich.

    Ein treuer Leser

    Lance

  5. @Alle: Danke für eure Kommentare. Ich hatte Gelegenheit mit ihr zu “sprechen” und es geht mir seit vorgestern Abend deutlich besser. Nur vergessen werde ich sie nicht. Sie ist, trotz allem was mit uns passierte, ein wundervoller Mensch.

    Irgendwann werden wir darüber stehen und lachen. Und ich hoffe, wir können dann ganz unbefangen miteinander umgehen – so wie es schon einmal der Fall war. Einfach leben! :)

    Grüße
    Mario

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